Displaced Persons
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Hilde

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Beitrag  something Fr Sep 14, 2007 4:43 pm

Hilde Bild_110

In diesem Thread spür ich meinem Weg mit Hilde nach, die ich nahezu 10 Jahre vom Beginn ihrer Demenz an bis zu ihrem Übertritt in jene andere Welt begleitete.


Im Sommer 97 hatte ich die Beziehung zu der mir bis dahin unbekannten Hilde aufgenommen. Vorausgegangen war eine Demenzdiagnose und eine unzureichende Hilfestellung für sie. Hilde war zu jenem Zeitpunkt bereits völlig vereinsamt, es gab nur einen kleinen verrückten Hund. Angehörige oder Freunde waren nicht zu ermitteln. Hilde lebte bis zum Ende allein in ihrer Wohnung und der über Jahrzehnte vertraut gewordenen Umgebung. Sie erhielt weder Psychopharmaka noch Antidementiva. Ich glaube, es ging ihr insgesamt gut. Ihr Wesen war freundlich und fröhlich. Bis zuletzt eigentlich. Sie fühlte sich geborgen und angenommen. Hilde starb im Juni 07 zwischen zwei Einsätzen. Ohne jede Ankündigung, ohne besonderes Leiden. Sie schloss einfach die Augen. Meine Beziehung zu ihr war geprägt von immer tieferer Nähe und Verstehen. Dass ich Hilde geliebt hatte, erführ ich jedoch erst in meiner Trauer. Aber nicht nur ich war beteiligt, sondern auch ein Pflegedienst, private Hilfen, Nachbarn. Alle hatten Hilde ins Herz geschlossen. Ohne sie wäre dieses grossartige 'Projekt' nicht möglich gewesen.


Eugen

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Beitrag vom Montag, September 10, 2007 @ 23:04

Hallo Eugen,
schön das ich die Gelegenheit bekomme, weiteres über Dein Leben mit Hilde zu erfahren, ich freue mich sehr darüber!

Liebe Grüße Angela

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Beitrag vom Montag, September 10, 2007 @ 23:44

Lieber Eugen,
es ist schön, dass ich hier bei dir weiterhin an den Erzählungen von Hilde teilnehmen darf.

Lieben Gruss Irmi

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Beitrag vom Dienstag, September 11, 2007 @ 00:36

Hallo , ich freu mich auch in diesem Forum schreiben zu können und begrüße alle recht herzlich. Kennen uns ja schon alle aus dem letzten Forum und freue mich das ich bekannte "Gesichter" hier wiedergetroffen habe. allen ein herzliches Willkommen im neuen Forum von Eugen.
Und wie alle anderen freue ich mich , lieber Eugen,weiter von dir und deinem Hildchen mehr zu erfahren.

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Beitrag vom Dienstag, September 11, 2007 @ 00:40

ähhh hab vergessen in meinem Beitrag meinen Namen drunter zu setzen.
liebe Grüße an alle Petra

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Beitrag vom Dienstag, September 11, 2007 @ 10:40

Verfasst am: 15.08.2007, 19:41 Titel: 14.08.07
Weiter in der Wohnungsauflösung: Waltraud und N durften sich an Küchenutensilien und Kleidung bedienen. Reichlich Geschirr, Kleidungsstücke, alte Elektrogeräte, verbrauchte Decken eingetütet. Zusammen mit einigen alten Säcken verbrauchten Inkontinenzmaterials (Fassungsvermögen der Hilde-eigenen Tonne wurde oft überschritten) zur Deponie gefahren. Stofftiere, einige T-Shirts, einiges Pflegematerial hab ich zu mir gebracht.

Es tut mir gut, mich wg der Auflösung der Wohnung nicht unter Zeitdruck setzen zu müssen. So kann ich sozusagen jedes Stück einzeln verabschieden. Genügend Zeit, Bilder auftauchen zu lassen. Zudem spüre ich so noch mal unsere besondere Atmosphäre in der Pflege: Bewegung in Slow Motion. Keine nervöse Geschäftigkeit - so wie im Heim.

Hilde hatte einiges an Stofftieren. Diese kamen nach und nach in Vertretung ihres 2003 verstorbenen Zwerghundes Daisy. Mit Daisy, fast so verrückt wie sie selbst, lebte Hilde nahezu 20 Jahre in einer Art Symbiose. Sonst gab es ja offenbar niemanden für sie. Die Stofftiere wurden aufgebaut, nachdem sie zu Bett gebracht wurde. Ein 40cm großer Papagei ('der Admiral') an ihrer Kopfseite auf einem Toilettenstuhl so postiert, dass er mit seinen großen Augen zu Hilde hinüber sah. Es wirkte irgendwie beschützend auf mich. Hilde hatte sich mit dem Papagei noch über sehr lange Zeit vor dem Einschlafen unterhalten. Am Fußende ein großes Äffchen. Es schien gerade über das Seitenteil klettern zu wollen. Zwei kleinere Stoffhunde in der Größe von Daisy, die Hilde mit den Händen umklammerte und auch bearbeitete. Am Bettgalgen hing dann immer wieder was anderes: Ein großer Schmetterling, ein Kasper usf. Hat Hilde auch noch bis fast zuletzt danach ausgegriffen. (War auch gedacht gegen die Kontrakturneigung wie gegen die Neigung, an der Schutzhose rumzufummeln). Diese 'tierischen' Begleiter wegzugeben brachte ich nicht über's Herz.

Hilde hatte Unmengen von schönen Anziehsachen. Alles in Übergröße. Kam so gut wie alles von meinen Pflegekräften (alle weiblich). Zeigte, dass diese mitdachten. Dass sie mit dem Herzen dabei waren. Zwei T-Shirts hab ich an mich genommen. Natürlich xl und goldfarben wie die Sonne. Hab ich Hilde besonders gern nach dem Baden angezogen. Die gewaschenen und geföhnten Haare in einem schimmernden Weiß und dazu das leuchtende Hemd. Gefiel mir besonders an den dunkleren Tagen.

Meine Hoffnung, beim Räumen eine Spur zu entdecken, wer Hilde 'vorher' war, wurde bislang enttäuscht. Mit Ausnahme von Fotos fand ich nichts mit persönlichem Bezug. Einige Briefe ja, aber dort nur Smalltalk über's Wetter und zu kleinen Zipperlein. Aber auch sonst unter den Einrichtungsgegenständen kaum etwas mit einer wirklich persönlichen Note. Auch keine Sammelleidenschaft oder dergleichen. War Hilde ohne Persönlichkeit ?

Ich hab eigentlich niemand, mit dem ich über Hilde reden kann. Aber vielleicht glaub ich das auch nur. Weil ich's noch nicht ernsthaft versucht habe. Mit N hielt ich es für möglich, weil sie sehr nahe dran schien an Hilde. Aber N hat sich anders entschieden... .

Danke für Eure Hilfe und Ermunterung, Eugen

Verfasst am: 17.08.2007, 22:33 Titel: 16.08.07


Mit dem Friedhofsamt telefoniert. Bestätigt, dass ich die Nutzungsrechte für die nächsten 20 Jahre übernehme. Ansonsten hätte die Nachlassverwaltung die Einebnung des Grabes veranlasst.

Auf dem Friedhof: Er liegt weiträumig angelegt auf einer Bergkuppe. Mit altem Baumbestand. Es weht immer ne leichte Brise. Diesmal sorgte die Abendsonne für wunderschöne Beleuchtung. Obwohl mir die Gräber alle einen liebevoll gepflegten Eindruck machen ist wie üblich niemand zu sehen. Hildes Grab ist ca 80 x 80cm groß. In der Mitte eine Platte, auf der lediglich der Name ihres Mannes steht. Drum herum so ne Art Bodendecker. In einer Ecke steht eine Schale, die noch von N stammt und in der diverses robustes blüht. Daneben ein kleiner Engel, auch von N.

Ich steh am Grab und lasse einfach die Bilder laufen. Sehe Hilde oft mit Brille, obwohl sie die nur selten trug. Sehe und höre ihr Lachen - sie war fröhlicher Natur bis zuletzt. Sehe, wie sie fragend zu mir schaut. Was vorkam, wenn sie nicht weiter wusste. Ich spüre ihr unendliches Vertrauen in mich. Ich sage ihr noch, dass es mir gut tut, hier zu sein und dass ich sie liebe.

In der Wohnung noch etwas mühsam weiter geräumt. Hatte dann auch die Franzbranntwein-Flasche in der Hand. Etwa einen guten Monat vor ihrem Tod traf ich eines Morgens Hilde in einer Art katatonischem Zustand an. Die Augen geschlossen. Die Gesichtmuskulatur zuckte immer wieder wie in einem anstrengendem Traum. Sonst war alles bewegungslos, aber angespannt. Auf Ansprache, Streicheln, Zerren, Schreien, kaltes Wasser keine Reaktion über den ganzen Tag hinweg. Ich hab geglaubt, wenn ich sie nicht aus diesem Traum befreie verlier ich sie. Gegen Abend hab ich dann nahezu den gesamten Körper mit Franzbranntwein eingerieben: Sie öffnete die Augen und sieht mich an.

Danke, Eugen

lieber Eugen, ja ich erinnere mich wie durcheinander du warst,nachdem du dein Hildchen in diesem katatonischen Zustand angetroffen hast , vielleicht war das schon aus heutiger Sicht ein Probe gehen vielleicht hat sie sich das Jenseits schon vorher anschauen wollen um dann den richtigen Zeitpunkt abzupassen um endgültig hinüber zu gehen, Hildes Grab kann ich bildlich vor mir sehen auch den kleinen Engel, der sie jetzt beschützt, wo du es nicht mehr machen kannst und ich kann mir auch vorstellen das dir beim Ausräumen der Wohnung noch viele Erinnerungen an deine Hilde in die Hand fallen werden und das dein Hildchen bis zuletzt fröhlich sein konnte und oft ihr lachen den Raum erfüllte , zeigt wie gut es ihr gegangen ist unter deiner und unter der deines mitpflegenden Personals .

Ja schreib uns weiter von deinem Hildchen.
liebe Grüße Petra


Mein Freund Murat (16) hilft mir, Hildes Schlafzimmerschrank zu zerlegen. Meine hübsche Nichte N (13) sieht zu und findet alles immer nur 'cool'. Murat fragt mich jedes Mal, wenn ich da bin, ob ich in Hildes Wohnung einziehen werde. Was er sich schon lange wünscht. Er wolle dann dazu ziehen. Und vorher alles 'stylish' einrichten. Darüber vergesse ich an Hilde zu denken. Irgendwann fragt N: Wohin bloss mit all dem Schrott ? Murat antwortet: Das ist kein Schrott. Das war Hildes Leben.

Ich hab die Idee, alle die zu dem sozialen Netz gehörten, dass um Hilde gesponnen wurde, um einer Schilderung ihrer Wahrnehmungen zu bitten.

Ja, N, das ist ein guter Gedanke. Dass es ihr 'zuvor' nicht gut erging - auch ihre Einsamkeit spricht ja dafür - und deshalb nichts blieb. Allerdings gab es nicht irgendwann den Entschluss, sich mir anzuvertrauen. Vielmehr war mein Eintritt in ihr Leben eigentlich vom ersten Kontakt an etwas völlig Selbstverständliches. Obwohl wir uns zuvor nicht kannten.

Eugen[img][/img][img]


Zuletzt von am Fr Sep 21, 2007 4:50 pm bearbeitet; insgesamt 9-mal bearbeitet

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Beitrag  something Fr Sep 14, 2007 4:44 pm

Verfasst am: 25.08.2007, 17:17 Titel: 23., 24.08.07


Mit dem Leeräumen der Wohnung lasse ich mir weiterhin viel Zeit. Bei den meisten Dingen frag ich: Müll ? Oder kann das noch jemand brauchen ? Oder zu mir damit ? Ist mir natürlich sehr lieb, wenn Dinge von Hilde an Menschen gehen, die sie gekannt haben, die beteiligt waren, die sie in Erinnerung behalten. Waltraud zB. Die trägt jetzt wie selbstverständlich Hildes Strickjacke, Hildes Bücherregal hab ich in ihrem WZ angebracht, dort auch ein kleines Tischchen reingestellt. Waltraud beschäftigt sich immer noch mit dem Leben und dem Sterben von Hilde. Geht ihr vieles nach. Sie teilte mit Hilde ja nicht nur über Jahrzehnte den Lebensraum, sondern auch das Alter in etwa und die Diagnose. Aber irgendwie schaffe ich es bisher noch nicht, mit ihr über Hilde zu sprechen. Über die Gefühle, die uns beide bewegen.

Habe eine Frau aus dem Viertel angesprochen. Hatte sie sehr oft auf dem Weg zu Hilde beim Spaziergang mit Hund angetroffen. Sie erkundigte sich immer nach Hilde, kam aber nie vorbei trotz Einladung. Werde sie trotzdem mal zu Hildes früheres Leben befragen. Sie meint, sie gut gekannt zu haben.

Ich hab wieder an N denken müssen. Sie wohnte Tür an Tür mit Hilde. Und war eine frühere Freundin von mir. Über Jahre hat Hilde dort warm zu Abend gegessen. Aufgenommen in die Familie in aller Selbstverständlichkeit. Als Hilde noch konnte, ging sie öfters auch rüber, um mit N eine zu rauchen. Mit N nahm es ein schlimmes Ende und ich hab es nicht verhindern können. Nach Wochen der Funkstille hatte ich die Tür aufgebrochen. Die Wohnung von oben bis unten voller Müll. Die Ratten des Sohnes liefen darin frei herum. N untergetaucht. N hatte jedoch bis kurz vor Schluss Hilde zuverlässig und einfühlend versorgt. Dafür bürge ich. Ich konnte es ja an Hildes Verfassung erkennen. Eine bemerkenswerte Leistung in einer totalen Depression. Ns Schulden bei uns von gut 10.000 € haben wir ihr deshalb erlassen.

Mit N über Hilde zu reden wäre so wichtig für mich. Aber sie lehnt ab. Sie sagt, sie hätte eine besondere Verbindung zu Hilde gehabt. Hilde wäre ihr viertes Kind geswesen. Dass sie von Hilde getröstet worden wäre. Das sie gespürt hätte, was Hilde fühlte. Zum Sterben von Hilde sagte sie, Hilde wäre nicht gegangen, wenn jemand von uns anwesend gewesen wäre. Hatte mich sehr beeindruckt. Denn Hilde starb ja zwischen zwei Einsätzen, ohne dass es zuvor irgendein Warnsignal gegeben hätte.

Ja, N, glaub ich auch, dass Murat sehr einfühlend ist. Meine besondere Nähe zu Hilde hatte er in meiner Trauerrede gespürt. Die ihn tief bewegte, wie er hinterher sagte. Murat ist sehr intelligent und geht auf die Sonderschule. Auch das hab ich nicht verhindern können. Ihn mir sucht er einen Vater. Schon lange. Ich muss Murat noch ernster nehmen !

Ja, die Wohnungsauflösung mit dem Odium des Endgültigen. Schmerzliche Erinnerungsarbeit. Glaube, als solche sollte man diese auch durchführen. Es sich bewußt machen, was war. Den roten Faden innen erhalten, wenn er außen abreissen muss. Wieviele Heimbewohner haben das hinter sich und doch nicht verkraftet.

Eugen

Verfasst am: 27.08.2007, 20:32 Titel: 26., 27.08.07


Mit Murat weitere Möbel herausgeschleppt. Gibt mir schon einen Stich, diese draußen zu sehen. Dem Wetter ausgesetzt, zur Entsorgung bestimmt. Möbel die mir so vertraut sind wie meine eigenen. Hatte mich in Hildes Wohnung heimisch gefühlt und auch so benommen. Hatte dort tagsüber ein Nickerchen gemacht, gegessen, getrunken, geraucht, geduscht, gearbeitet, gelesen, mich auf dem Balkon gesonnt, ernste wie heitere Gespräche geführt, gymnastische Übungen gemacht, renoviert, gesaugt, Wäsche versorgt, gespült, geliebt, geflucht, geweint, getrauert ... .

Ehrlich gesagt war die Wohnung entsetzlich eingerichtet. Gelsenkirchener Barock könnte man das nennen. Die voluminösen Möbel nur Schund und überhaupt nicht aufeinander abgestimmt. Meist in dunklen Tönen gehalten. Der schöne Holzfußboden mit dunkelgrünen Filz ausgelegt. Auch die Tapeten eher dunkel und schon recht abgenutzt. Renoviert wurde dort schon Jahrzehnte nicht. Das wirkte muffig und düster. Und roch auch so ! Immer wieder gab es deshalb Auseinandersetzungen mit dem Pflegedienst. Der nicht glauben wollte, dass sich jemand in dieser Wohnung wohlfühlen konnte und der auf Renovierung drängte. Der menschenunwürdige Zustände anklagte und Hygiene anmahnte. Aber wie Murat schon sagte: Das ist kein Schrott. Das war Hildes Leben. Ich weiß noch genau, wie Hilde bei unseren ersten Kontakten sich stolz über ihre Wohnung äußerte: Mein Reich ! Meine Welt ! Sie kam damit zurecht und deshalb sollte alles soweit irgend möglich unangetastet bleiben.

Hilde war lange Jahre im 'Englischem Dienst', wie sie es ausdrückte. Tatsächlich war sie Putzfrau bei der Brit. Army. Beim Aufräumen hab ich unzählige Vokabelhefte gefunden, selbst verfasste - kein Schulmaterial. Hilde wollte sich Englisch beibringen. Zwei eingerahmte Fotos hingen an der Wand: Hilde auf einem Gruppenbild mit brit Soldaten und Offizieren. Hilde stemmt die Brust raus und lächelt stolz. Die Fotos stehen jetzt neben meinem Arbeitsplatz.

Eugen

Bis zum Spätsommer 05 war ich eigentlich keinen Tag krank. Manche WE sahen so aus: 6.00 - 12.00 Heim, 12.00 - 16.00 Hilde, 16.00 - 20.00 Heim, 20.00 - 22.00 Hilde. Machte mir lange wenig aus. Dann konnte ich Anfang September 05 von einer Nacht auf die andere nicht mehr schlafen. Der Auslöser war scheinbar banal. Ein Mädchen, das ich begrüßen wollte, drehte den Kopf weg und ließ mich stehen. Lag nachts da, wach und schweissgebadet. Tagsüber war ich aufgedreht und todmüde zugleich. Dazu die Sehstörung ( die ganz sicher im Heim ihren Ausgang nahm). Es ging nicht mehr.

Wohl oder übel musste ich die Verantwortung für Hilde zum ersten Mal in andere Hände legen. Und ich hatte ein sehr schlechtes Gefühl dabei. Denn ich war - auch aufgrund einschägiger Erfahrung - davon überzeugt, dass es ohne mich nicht geht. Dass nur ich Hilde wirklich verstehen würde, dass nur ich im Krisenfall das richtige würde tun können. Meine Schwester Barbara, die sich auch an meiner Vertretung beteiligte und mit der ich täglich telefonierte. wunderte sich nur. Worüber machst Du Dir Sorgen ?

Alles ging gut. Der PD, Barbara und N hatten das richtige getan. Ganz ohne meine Aufsicht. Aus Einfühlung, Engagement, Erfahrung. Ich war der einzige, der überrascht schien. Konnte es anfangs gar nicht glauben, dass ich Hilde wohlbehalten zurückerhalten hatte. Ich verspürte ein Gefühl großer Erleichterung.

Eugen

Hallo Eugen,

ich kann Deine Sorgen um Hilde im Bezug auf Deine Krankheit unheimlich gut nachvollziehen! Denn schließlich hat man mit der Pflege eines kranken Menschen auch eine sehr große Verantwortung übernommen! Ich habe in den Jahren auch oft gehört, willst Du nicht mal eine Auszeit machen und in Urlaub fahren, sicher wäre das über eine Kurzzeitpflege auch bei uns möglich gewesen! Aber ich muss gestehen ich hätte es nicht gekonnt! Der Gedanke allein, immer zu denken wie geht es meiner Mutti und sagen mir die anderen was wirklich mit ihr los ist, wäre für mich keine Entspannung gewesen! Und die Vorwürfe die ich mir selbst gemacht hätte , wenn irgend etwas passiert wäre, hätten mich ich glaube immer verfolgt! Aber wie gesagt das war nur bei mir so, das muss jeder selbst für sich entscheiden! Mein große Glück war dabei aber auch das meine Familie da voll hinter mir standen und mir deshalb nie Vorwürfe gemacht hat!
Das Du nachdem Du wieder bei Hilde sein konntest große Erleichterung verspürt hast, zeigt mir auch was ihr für eine liebevolle Beziehung hattet und schon das allein finde ich ganz große Klasse, Hilde hat bestimmt bis zu ihrem Ab-leben verspürt wie schön es ist einen so verantwortungsvollen Menschen um sich zu haben und was sie für ein Glück hatte, bei Dir zu sein!

LG Angela

Verfasst am: 30.08.2007, 11:15 Titel: 29.08.07


Wie war Hilde, als ich sie kennenlernte ? Als Mieterin in unserem Haus und ohne zu wissen, was später noch kommen sollte ? Hilde war von Gestalt schlank, klein, energetisch. Bewegte sich mit einer gewissen Leichtigkeit. Ihr Äußeres gepflegt, mit einem Willen zur Eleganz. Ohne aufdringlich auf mich zu wirken. Hab sie als durchweg fröhlich und freundlich in Erinnerung. Mir gegenüber von Beginn an ohne jedes Misstrauen. Keine Spur von der Missgunst, Bitterkeit, Sonderlichkeit, die zB ehemalige Kollegen und einige Nachbarn später beschrieben. Sie bewegte sich oft im Garten oder im Umfeld des Hauses, sich mit ihrem Zerghund Daisy beschäftigend. Beim Aufräumen fand ich einen Brief an ihren früheren Vermieter, in dem sie eine Mieterhöhung um 50 % als unangemessen mit der 'Bitte um Ihr Verständnis' ablehnt.

In den ersten Monaten ihrer Betreuung suchte ich doch recht intensiv nach möglichen sozialen Beziehungen. Es musste doch irgendwen geben oder gegeben haben. Hilde erwähnte einige Male 'ihren Freund Hermann' - dieses und jenes sei von ihm. Es stellte sich heraus, dass jener Hermann einige Häuser weiter wohnte. Ich suchte ihn auf, um ihn zu Hilde zu befragen, aber auch um ihn einzuladen mal vorbeizukommen. Hermann zeigte sich sehr wortkarg. Irgendwie schien ihm das Gespräch peinlich. Er sagte, sein Sohn habe ihn auf 'den Alzheimer' Hildes aufmerksam gemacht. Deshalb habe er die Beziehung abgebrochen. Es schien so, als handelte es sich für ihn um eine ansteckende Krankheit, die man nicht zu haben hat. Ungefähr so wie AIDS. Wenige Wochen später holte ihn ein Schlaganfall von den Beinen. Hatte ihn dann noch einige Male im Rollstuhl gesehen. Immer allein.

Danke, Angela. Vor meiner unfreiwilligen Auszeit verfolgte mich immer wieder der Gedanke: Was ist, wenn Du ausfällst. Wenn Du krank wirst. Nein, Dir darf einfach nichts passieren ! Hilde würde im Heim landen und das würde ihr Ende sein !

Eugen

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Beitrag vom Dienstag, September 11, 2007 @ 14:46

Ich bin sehr froh, dass mein Hilde-Thread eine neue und sichere Heimat gefunden hat. Hat mir gefehlt, darüber zu schreiben. Der Unterschied ist schon erstaunlich, den das öffentliche Nachspüren meiner Beziehung für mich macht. Hab das Gefühl, genau dadurch komm ich näher dran.
Ich hab jetzt zwei Monate gebraucht, um Hildes Sachen (ihr Leben!) nach und nach auszusortieren. Immer mit einem Gefühl der Traurigkeit, auch der Trostlosigkeit. Von Effizienz keine Spur. Nun aber geht es an's Renovieren. Murat will mir helfen. Mal sehen, wie's mir mit einer hell gestrichenen Wohnung gehen wird.

Eugen

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Beitrag vom Dienstag, September 11, 2007 @ 15:31

Hallo Eugen,
ich bin auch sehr froh, Deine Beiträge über Hilde weiter zu lesen, und ich finde die neue Heimat dafür sehr schön!
Ich kann mir gut vorstellen das Du Dich in einer hell gestrichenen Wohnung besser fühlst, aber die Gedanken an das wie es mal, war werden bleiben! Mir geht es jedenfalls so, trotzdem wir das Kinderzimmer, wo meine Mutti die letzten Jahre war, neu renoviert haben und alles andere Möbel darin stehen, sehe ich jedesmal wenn ich die Tür aufmache , meine Mutti und ich denke das das auch noch eine ganze Zeit so bleiben wird, ich könnte mir gut vorstellen das es Dir genauso gehen wird! Oftmals ist das für mich ganz schön schwer, weil man vieles einfach nicht begreifen kann, aber das Leben muss ja weiter gehen, geht es ja auch aber die Erinnerungen bleiben , die kann einen auch keiner nehmen und das finde ich gut, ich fühle mich wohl bei dem Gedanken das meine Mutti da war und das ich für sie sorgen konnte, und das ist für mich ein großes Geschenk, dafür bin ich sehr dankbar, ich würde denken das es Dir mit Hilde ähnlich geht!
Liebe Grüße Angela

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Beitrag vom Dienstag, September 11, 2007 @ 22:42

11.09.07
Als ich heute in Hildes Wohnung eintrat, konnte ich ihre Gegenwart noch deutlich spüren. Obwohl nahezu schon alles ausgeräumt war. Hab dann zusammen mit Murat und Mandy die uralten Tapeten abgekratzt. Mit Wehmut im Herzen. Immer wieder dachte ich, Du kratzt hier Hildes Leben von der Wand. So wie ich auf der Müllkippe dachte, hier entsorgst Du Hildes Leben. Als ich dann aber vor der kahlen Wand stand, fühlte ich mich gut. Als ich ging, hatte ich zum ersten Mal vergessen Tschüss Hilde zu sagen.

Ja, Angela, es war Liebe zwischen Deiner Mutti und Dir. Das, was war, scheint sich auf die alltäglichsten Gegenstände übertragen zu haben. Sie werden wahrgenommen in der Verbindung zu dem geliebten Menschen. Hilde hatte einige handgemalte, ziemlich kitschige Bilder an der Wand. Wo ich die bloß aufhänge ?

Eugen

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Beitrag vom Mittwoch, September 12, 2007 @ 11:55

Hallo Eugen,
Du wirst schon einen sehr schönen Platz für Hildes Bilder finden, da bin ich mir ganz sicher!

Liebe Grüße Angela

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Beitrag vom Mittwoch, September 12, 2007 @ 17:34

lieber Eugen, auch ich finde die neuen Heimat die jetzt deine Hilde hat schön und hier in diesem Forum kann ihr nicht passieren das einfach das Forum geschlossen wird, finde ich beruhigend, du kannst jetzt in Ruhe deiner Beziehung zu Hilde hinter her spüren.
Und ja kann mir vorstellen das dir komisch ums Herz ist, Stück für Stück die Wohnung in der dein Hildchen lebte wegräumen und renovieren zu müßen, aber denk daran dein Hildchen lebt in deinem Herzen und das für immer.
Und für die Bilder wirst du schon den richtigen Platz finden, und die Bilder werden dich immer beim anschauen an sie erinnern.
deine Petra

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Beitrag vom Freitag, September 14, 2007 @ 13:00

Wie träumt jemand wie Hilde ? Dann, wenn ein aktiver Zugriff auf das Geschehen des Tages, auf überhaupt irgend ein Geschehen nicht mehr möglich scheint ?
Meine Vorstellung zur Demenz ist die, dass keine Erinnerung tatsächlich verloren ist. Verloren scheint hingegen nur die Fähigkeit, diese sinnvoll zu verknüpfen. Diese (für andere) sinnvoll auszudrücken. Bei wohlmeinender Behandlung, bei Erhalt der vertrauten Umgebung, bei Verzicht auf psychotrope Medikation sind auch im Endstadium der Demenz Äußerungen von erschreckender Klarheit zu beobachten. Äußerungen, die die Nebelwand für einen Augenblick aufzureissen scheinen.

Einmal schien Hilde in einem Traum gefangen, aus dem es kein Erwachen mehr geben wollte. Habe bereits weiter oben darüber brichtet. Ihr Körper war ruhig, aber äußerst angespannt. Im Gesicht hingegen arbeitete alles. Die Augenlieder zuckten, der Mund formte Bewegungen (Hilf mir ?). Ich glaubte, Hilde sei in einer schrecklichen Situation gefangen. Ein Alptraum, aus dem es kein Entkommen gibt.

Die Arbeit in der Wohnung kommt voran. Hildes Möbel sind raus und zertrümmert, die alten, vergammelten Tapeten runter, die Sträucher um ihren Balkon herausgerissen. Nun ist es nicht mehr ihr Zuhause. Zuletzt hab ich ihr Namensschild entfernt.

Habe auf diesem wunderbaren Friedhof wieder ihr Grab besucht. Um mit ihr zu sprechen. Standen wieder frische Blumen dort. In gelber Farbe, hell leuchtend. Es sind immer dieselben. Von N. Einerseits freue ich mich, dass es noch jemand gibt, der Hilde nicht vergisst. Anderseits ist es bitter für mich, dass es ausgerechnet N sein muss.

Eugen

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Beitrag  something Sa Sep 15, 2007 9:21 am

Beitrag vom Freitag, September 14, 2007 @ 17:12

lieber Eugen, sicherlich hast du das Gefühl, Hildes Leben landet Stück für Stück auf dem Müll, aber ich sehe es so, du hast etwas sehr wertvolles zu Ende gebracht, Hilde durfte in ihrer vertrauten Umgebung bleiben in der sie sich wohlfühlte, bis zu ihrem letzten Atemzug. Aber sie ist ihren Weg zu Ende gegangen und somit endet dein Auftrag,ihr Umfeld so zu erhalten das sie sich wohl fühlt.
deine Petra

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Beitrag  something Mi Sep 19, 2007 2:36 pm

Hilde Danier10

Eugen

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Beitrag  petra Fr Sep 21, 2007 2:33 pm

lieber Eugen, du hast an diesem Tage dein Hildchen zu Grabe getragen und dir war sicherlich schwer ums Herz, und in ihre nun verwaiste Wohnung zu kommen und zu wissen Hildchen ist fort , hat dir bestimmt das Herz umgedreht, ein wichtiger Mensch in deinem Leben den du sehr geliebt hast, ist nun nicht mehr da, du wirst sie nie wieder lächeln sehen, ihr nie wieder die Stofftiere ums Bett herum dekorieren können, sie nie wieder in den Arm nehmen können und das wird dir sicherlich in den Sinn gekommen sein, an dem Tag als du sie zu Grabe tragen mußtest. Was dir den Tag noch blieb waren die Erinnerungen an Hilde und mit der schönen Schleife und dem schönen Gesteck auf ihrem Sarg ihr einen letzten Gruß zukommen zu lassen. Und wie wahr, sie wird immer in deinem Herzen sein , hat mich sehr berührt die Schleife und bewahre das in deinem Herzen, dein Hildchen wird immer bei dir sein, denn du wirst sie nie vergessen und somit ist auch noch ein Stücken Hilde in dir- auf ewig .
Deine Petra
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Beitrag  something So Sep 23, 2007 1:58 pm

Liebe Petra,


Du hast sehr schön geschrieben. Danke. Meine Trauer und mein Schmerz haben nun nachgelassen. Und sie haben ihren Sinn erfüllt, denke ich: Mich darüber zu informieren,wie wichtig Hildchen für mich war - darüber, dass ich sie geliebt hatte. Aber auch den Auftrag mitgegeben, unserer Beziehung nachzuspüren. Sozusagen das Beziehungsmoment zu verstehen, welches sich jenseits praktischer Pflege ereignet hat. Das, was ich geben konnte und auch das, was sie geben konnte. Andere Dinge, die ich gelernt habe und zB im Heim anwenden kann, klarer zu erkennen: Dass es nicht so sehr auf die richtige pflegerische Praxis ankommt, sondern darauf, dass der Kontakt als bestätigend für den alten Bewohner erlebt wird. Schon auf diese Weise bleibt mir Hilde Teil meines Lebens. Daneben hab ich aber durchaus das Gefühl, dass Hilde nicht wirklich, nicht vollständig weg ist. Denn ich glaube, irgendwie ihre Anwesenheit zu spüren. Allerdings nicht mehr in ihrer Wohnung.. .


Der Abschiedsgruss auf der Sargschleife stammt von jener N. Ich brachte zu dem Zeitpunkt eigentlich nichts heraus und sie hat geholfen. Hat sie gut gemacht, denn es trifft mein Gefühl und sicher auch ihres.


Bis dann, Eugen

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Beitrag  petra So Sep 23, 2007 9:30 pm

lieber Eugen, ja die Schleife traf eure Gefühle und ich finde sie sehr schön als letzten Abschiedsgruß für dein Hildchen. Ja du hast dein Hildchen geliebt und es ist schön das auch dein Hildchen dich etwas lehren konnte, nämlich das es nicht nur auf die notwendige Pflege ankommt, die sicherlich auch ein wichtiger Teil ist, aber es kommt vor allem darauf an das sie und alle anderen sich von dir angenommen fühlen,sie sich in deiner Gegenwart sicher fühlen konnte , denn ihre Welt ist unsicher genug geworden, du warst ihr Anker an dem sie sich festhalten konnte, während ihre eigene Welt Stück für Stück in sich zusammen brach und immer unsicherer wurde, und ja ich glaube auch das dein Hildchen noch bei dir ist um dir etwas davon zurück zu geben was du ihr in all den Jahren geschenkt hast.
liebe Grüße sendet dir Petra
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Hilde Empty 28.10.07

Beitrag  something Fr Sep 28, 2007 3:20 pm

Heute hab ich meinen Skatfreund beerdigt. Mein Vater und ich hatten ihn vor ca 6 Jahren aufgrund einer Announce kennengelernt: 'Blinder Skatspieler sucht Partner'. Er konnte nicht nur blind Skat spielen, sondern auch blind Schach spielen. Und dies auf einem herausfordernden professionellem Niveau. Mein Skatfreund starb vor ein paar Tagen letztlich überraschend in einem Heim. Er wurde 91.


Die katholisch abgehaltene Zeremonie erinnerte mich wieder an Hildes Begräbnis. Die christliche Botschaft ist ja die: Du lebst weiter ! Wenn auch in anderer Form, wenn auch an einem anderen Ort. Ich frag mich, was bedeutet dies für die, die zurückbleiben ? Der Verstorbene ist nicht ins Nichts gefallen, für ihn wird gut gesorgt dort oben. Dies mag Trost stiften, sofern man an dieser Versicherung glauben kann. Für mich hat diese Vorstellung jedoch etwas abstraktes, wenig fassbares.


Hilde ist für mich nicht verschwunden. Nicht nur in dem Sinne, dass ich immer wieder an sie denke. Nicht nur, indem ich ein Bedürfnis verspüre, unsere Beziehung und ihr Leben nachzuzeichnen. Sondern ich spüre deutlich ihre Gegenwart. Nicht sichtbar natürlich, aber auch nicht allzuweit entfernt. Der große Schrecken nach ihrem Tod: Jetzt ist Hilde unwiderruflich fort ! hat sich gelegt. Dieses beruhigende Gefühl wurde bemerkenswerterweise erst dann so richtig deutlich, nachdem Hildes Einrichtung entsorgt worden ist. Kaum mehr was übrig geblieben ist, das man hätte anfassen können und ihre Wohnung nicht mehr wiederzuerkennen war. Ein sehr schönes Gefühl, das ich so noch nicht kennengelernt habe... .


Eugen

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Beitrag  petra Sa Sep 29, 2007 11:11 am

lieber Eugen, es tut mir sehr leid das du und dein Vater euren Freund verloren habt, für mich ist es ein beruhigendes Gefühl zu wissen sie leben weiter und es wird für sie gesorgt, es geht ihnen gut, egal worunter sie hier gelitten haben und sie sind in guten Händen, aus denen wir sie entlassen mußten, nicht weil wir es so wollten, sondern weil es ihr Lebensplan so vorsah und ja es ist etwas abstraktes und wenig anfassbares, umso schöner finde ich das du dein Hildchen spüren kannst, sie ist dir nicht auf immer verloren und sie braucht jetzt die Sicherheit ihrer Umgebung, die du lange Jahre für sie aufrecht erhalten hast nicht mehr - sie ist frei.
Dennoch ist sie bei dir und es gibt dir ein schönes Gefühl,sie zu spüren, halte das fest für dich.
liebe Grüße Petra
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Beitrag  something Do Okt 04, 2007 3:13 pm

Für einen Zeitraum von vielleicht einem Jahr zog es Hilde immer mal wieder magisch aus der Wohnung. Meist nach Eintritt der Dunkelheit. Jedesmal steuerte sie zielgenau einen ca 2 km entfernten Ort an, an dem sie vor Jahrzehnten für vermutlich nur kurze Zeit lebte. War damals etwas emotional entscheidendes passiert ? Ich hab keine Ahnung. Beim Aufsammeln machte sie stets einen entspannten, gelösten Eindruck. Gab auch nie ein Problem, sie zurückzubringen: Ein 'Komm, steig ein, wir nehmen Dich ein Stück mit!' nahm sie dankbar an. Natürlich konnte sie zu ihrem Motiv keine Angaben machen.


Wie war es für sie möglich, den für sie untypischen Weg so unbeirrt zu verfolgen ? Gab ja zuvor keinen Grund, diesen früheren Wohnort zu Fuss aufzusuchen. War für sie sozusagen eine neue Trasse. Zur Demenz heisst es: Ich weiss nicht mehr, was vor einer Sekunde war - wie kann ich da ein (neues) Ziel über 1 - 2 Std ansteuern, ohne zwischendurch anderen Impulsen nachzugeben ?


Gott sei Dank ist nie etwas passiert. Hilde wurde stets wohlbehalten zurückgebracht. Zu ihrer Sicherheit wurde dann die Haustür mit der Dämmerung abgeschlossen. Was Hilde meistens als Fakt akzeptierten konnte. Nur selten fühlte sie sich eingesperrt.


N hat sich zurückgemeldet. Sie möchte Hildes Grab hübsch bepflanzen. N ist neben Waltraud die einzige, für die Hilde noch ein Thema ist.


Ja, liebe Petra, Hilde benötigt die Sicherheit der vertrauten Struktur nicht mehr. Ist nicht mehr auf einen bestimmten Ort verwiesen. Ich nehme sie nun oft dann wahr, wenn ich mal den Stress abstreife und innehalte.


Bis dann, Eugen

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Beitrag  Angela Do Okt 04, 2007 9:05 pm

Hallo lieber Eugen,

Ja es ist schon manchmal eigenartig, was für Gedanken unsere Lieben entwickeln, und wie zielstrebig sie ihre Wege nehmen , wenn sie das wollen!
Nur gut das Hilde immer wieder gesund zu Hause angekommen ist, denn ich kann mir gut vorstellen, was Du Dir für Sorgen gemacht hast!
Zum Glück für mich, war das bei meiner Mutti nie der Fall, den einzigen Weg den sie nachts regelmäßig ging, war der in mein Bett! Ich habe sie dann immer wieder zurück in ihr Bett bekleidet, mich zu ihr hingesetzt und sie gestreichelt, bis sie eingeschlafen war, in dieser Zeit habe ich immer darüber nachdenken müssen, wie meine Mutti immer an meinem Bett saß und wie wohl ich mich da immer gefühlt habe, ich hoffe ich konnte ihr dieses Gefühl auch so vermitteln, denn für mich war das immer unheimlich schön!
Ich hatte aber auch an jeder Tür in unserer Wohnung Schilder und große Bilder, damit meine Mutti genau wusste, wo sie hin musste und wo sie war, ich glaube das hat ihr in der Zeit sehr geholfen! Vorsorglich habe ich aber nachts auch immer die Wohnung abgeschlossen, aber sie hat auch nie versucht, die Wohnung zu verlassen!

Schön das sich N wieder zurück gemeldet hat, und Hildes Grab schön bepflanzen möchte, ich glaube das wird auch Dir gut tun zu merken das noch andere an Hilde denken!

Liebe Grüße Angela
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Beitrag  petra Fr Okt 05, 2007 3:00 pm

lieber Eugen, ja was hat deine Hilde dazu bewogen immer wieder diesen Ort aufgesucht zu haben, irgendeine Motivation wird sie schon gehabt haben, aber leider konnte sie dir nicht mehr erklären warum. Aber für sie scheint es wichtig gewesen zu sein, diese Strecke dafür auf sich zu nehmen, lebte da vielleicht auch eine Freundin von ihr? Zu der sie wollte, oder hatte sie dort mit ihrem Mann eine besonders innige Zeit und sie wollte dahin zurück wo sie dieses erlebt hat, es kann viele Gründe gegeben haben, aber wir werden sie nicht mehr erfahren, aber sie machte einen glücklichen Eindruck als sie auf dem Nachhause weg war, also hat es ihr gut getan diesen Ort aufzusuchen und Gott sei Dank ist ihr nie was passiert. und diese Ausflüge konnten ihr ein gutes Gefühl vermitteln und das finde ich schön, aber vielleicht war auch ihr Schutzengel bei ihr und hat auf sie aufgepasst.
liebe Grüße deine Petra
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Beitrag  something Mo Dez 17, 2007 9:59 pm

Wird langsam Zeit, meine Erinnerungsarbeit wieder aufzunehmen. Erhalte ich mir doch meine Nähe zum Hildchen auf diese Weise. Eine Nähe, die ich immer deutlicher vermisse. Eine Nähe in der Beziehung, die in einigen wenigen Momenten auch im Heim möglich wird. Doch insgesamt wirkt der Druck dort recht übermächtig, sich der Nähe zu verschließen. Um mit meiner Arbeit durchzukommen, um im erlebten und zum Teil auch selbst mit angerichteten Elend überhaupt durchzuhalten. Nähe, was kann das bedeuten, im Heim ? Ich würde sagen: Ein nicht-instrumenteller Kontakt. Einer, der keinen Absichten folgt - wie zB : Ich spreche jetzt ein paar freundliche Worte mit Herrn N, damit er sich die Windeln wechseln lässt, damit er sein Glas austrinkt, damit er mir zu seinem Bett folgt, damit er seine Medikamente nimmt usw. Sondern einfach ganz ruhig zu ihm setzen und warten, was passiert. Dass eine Nähe wie diese mir so gut wie unmöglich ist im Heim ist, glaub ich, das wirklich drückende für mich.


Die Pflege von Hilde lief eigentlich ab wie eine Gegenwelt zum Heim. Offenbar nicht nur für mich. Hab noch im Ohr, wie einige der privaten Hilfen, die hauptamtlich im Heim arbeiten, mir auf den besorgten Einwurf ' Erst Frühdienst - dann Hilde ?' antworteten: 'Bei Hilde - das ist doch keine Arbeit. Das ist Erholung!' Eben vielleicht deshalb: Nicht jede Minute war eine Vorgabe abzuarbeiten. Es blieb Zeit für Nähe... .


Heiligabend arbeite ich üblicherweise im Heim. Im Anschluss bin ich immer zum Hildchen gegangen. Ich weiß aber nicht mehr, was am letzten Heiligabend war. Werd mich als nächstes damit beschäftigen.


Liebe Petra,


Hilde zog es stets an einen Ort, an dem sie vor Jahrzehnten mal für eine kurze Zeit gelebt hatte. Welche für ihr Leben wichtige Ereignisse dort stattgefunden haben weiß ich nicht. Die Aufklärung darüber, wer Hilde - vorher - war, wird nicht einfach werden. Sie selbst konnte mir kaum etwas dazu mitteilen; Zeugen dazu, was sie bewegt haben könnte gibt es nicht und schriflich liegt nur Smalltalk vor.


Ja, den Eindruck hatte ich - diese Ausflüge haben ihr gut getan. Nie ist etwas passiert.


Liebe Angela,


Du schreibst, Deine Mutti hatte nie die Wohnung verlassen. Ja, warum auch ? Wurde sie doch geliebt, so wie Du zuvor von ihr geliebt wurdest. Was, meinst Du, bewog Deine Mutti, Dein Bett aufzusuchen ?


Eugen

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Beitrag  petra Di Dez 18, 2007 3:46 pm

lieber Eugen schön von dir und deiner Hilde wieder zu lesen, doch letztes Jahr hast du auch mit Hilde deinen Heiligabend verbracht, soweit ich mich erinnere habt ihr euch einen schönen ruhigen Abend gemacht. Wer hätte gedacht das es das letzte Weihnachten gewesen ist das euch zusammen vergönnt war.

Ja ich denke mir, das es bedrückend für dich ist die Heimbewohner zu sehen und dagegen dein Hildchen, das bei der Pflege stets im Vordergrund stand, du und deine Pflergerinnen konntet ganz auf die Bedürfnisse von eurem Hildchen eingehen, was im Heim leider nicht möglich ist, da du nicht nur für eine Person zuständig bist sondern für an die 20. Ich wäre auch dafür das jeder so leben dürfte wie dein Hildchen und nicht in einem schrecklichen Heim, wo es nur um die Grundversorgung gehen kann, da für anderes selten Zeit ist. was dann auch nicht im Sinne von euch Pflegern sein kann oder zumindest nicht sein sollte, aber ich denke auch die Pfleger stumpfen irgendwann ab, so das ihnen gar nicht auffällt, das sie nur die Grundversorgung machen, und du hast es ja auch anders erlebt und weißt das es auch anders gehen kann.

liebe Grüße deine Petra
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Beitrag  something Mi Jan 09, 2008 4:42 pm

Liebe Petra,


ich weiß noch immer nicht, wie ich den letzten Heiligabend mit Hilde verbracht hatte. Es ging mir die letzten Wochen nicht gut, zudem gab es nicht zu knapp Arbeit für mich. Vieles wichtige blieb wieder mal liegen. So hab ich auch den Faden zu meinem Hildchen zwischenzeitlich verloren. Ich hoffe, sie sieht es mir nach.


Ausdrücke wie 'ein schreckliches Heim' höre ich nicht gerne. Weiß eigentlich nicht wieso. Vielleicht deshalb, weil es auch einiges an haltlosen und absurden Vorwürfen Richtung stationäre Pflege gibt. Vielleicht weil es Angehörige gibt, die zwar nie zu Besuch kommen, wenn dann aber doch, das Personal nicht grüßen.


Bis dann, Eugen

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Beitrag  petra Do Jan 10, 2008 12:24 pm

lieber Eugen, ich denke das dein Hildchen es dir nachsehen wird, sie wird sehen das es dir in letzter Zeit nicht gut ging, da bin ich mir gewiss.

Ja ich kann mir vorstellen das du schreckliches Heim nicht gerne hörst, aber das kommt auch sicherlich durch die Horrormeldungen die uns tag täglich erreichen. Und ich denke diejenigen schreien am lautesten, die einen Angehörigen im Heim haben und ihn selten besuchen, weil sie ihn ja "gut versorgt " wissen wollen, beschwert sich dann der Pflegende, schlagen die Angehörigen dann sofort Alarm um von ihrem eingenen Versagen abzulenken. Denn es ist ja einfacher die Schuld bei euch zu suchen als bei sich. Und das sie euch nicht grüßen ist ja wohl die Höhe, denn ihr seit es die statt der Angehörigen die arme Person versorgen, aber vielleicht grüßen sie euch nicht weil doch so etwas wie das schlechte Gewissen in ihnen schlägt, wenn sie sehen wie ihr ihre Angehörigen versorgt, wer weiß ?
liebe Grüße
Petra
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