Displaced Persons
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Waltraud

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Beitrag  something Sa Sep 15, 2007 9:20 am

Beitrag vom Mittwoch, September 12, 2007 @ 00:23

Waltraud teilt mit meiner Hilde dieselbe soziale Umgebung, dieselbe Diagnose (Alzheimer), nahezu dieselbe Vereinsamung und vieles mehr - jetzt auch einiges ihrer Kleidung und ihrer Möbel. An Hildes Schicksal hatte sie Anteil genommen und es wirkt nach bei ihr. Ich bin gerade durch meinen Einsatz für Hilde die Person ihres Vertrauens geworden, aber ich frage mich, ob ich diesem gerecht werden kann. Waltraud schwankt zwischen der Angst, bevormundet zu werden und der Angst, ohne Hilfe unterzugehen. Ich habe ein Netz für sie eingerichtet, dass sie ebenso tragen soll wie zuvor Hilde. Meinen Versuch will ich in diesem Thread dokumentieren.
Eugen

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Beitrag vom Mittwoch, September 12, 2007 @ 11:11

Waltraud sagt leicht verärgert, sie spricht nicht über ihr Leben: 'Da gibt es nichts!'. Darüber setze ich mich jedoch hinweg zB mit der Frage: Sie hatten doch eine Freundin in der Kindheit ? Und sofort ist sie in dem Geschehen drin. Ist dann kaum noch zu stoppen.
Ich hab vor, Waltraud in gewissen Abständen zu ihrer Biographie zu befragen. Auf der Suche nach den emotional prägenden Momenten ihres Lebens. Das, was sie in den ersten Befragungen regelmässig wiederholt, könnte auf diese entscheidenden Momente hindeuten. Mein Motiv ist, für sie ein Gerüst an Erfahrung zu schaffen, an dem sie sich später, wenn die Demenz fortgeschritten und die das Selbst stützende konkrete Erinnerung verblasst, wird festhalten können (SET, nach B. Romero). Bei Hilde war dies leider nicht möglich, denn ihr Erinnerungsverlust erfolgte recht bald global. So war ihr bereits im frühen Stadium der Demenz ein Zugriff auf Kindheit und Jugend nahezu unmöglich.

Eugen

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Beitrag vom Mittwoch, September 12, 2007 @ 12:08

lieber Eugen, das ist schön das du uns zu Waltraud schreiben willst, ja ich kann mir denken das es jetzt wichtig ist etwas aus Waltrauds Leben zu erfahren, anhand dessen sie sich noch lange entlang hangeln kann, so das du auch später noch einen Ansatz hast um ihre Erinnerungen noch lange wach zu halten, ist bei meiner Mutter genauso, sie erzählt gerne aus ihrer Jungend und wenn sie einen Tag hat an dem sie untröstlich ist, bringe ich sie mit einer einfachen Frage die ihre Jugend betrifft von dem Thema ab und sie kommt auf andere Gedanken und vergißt über das Erzählen das worüber sie untröstlich war.
Einen schönen Tag an alle

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Beitrag vom Freitag, September 14, 2007 @ 12:13

13.09.07
Während Mandy, Murat und ich an der ehemaligen Wohnung von Hilde arbeiten, taucht. Waltraud öfter auf. Nur mal vorbeischauen und einen Kaffee anbieten. Irgendwann hat sie einen kleinen Besen in der Hand, mit dem sie die Haustür bearbeitet. Damit diese wieder ordentlich aussieht. Im Anschluss widmet sie sich von mir unbemerkt den drei großen schwarzen Mülltonnen. Schleppt diese hinters Haus, säubert diese mit Gartenschlauch und Bürste. Dann schleppt sie die Tonnen wieder zurück. Ihre schwere Gelenkathrose scheint sie nicht behindert zu haben. Auch von Desorientierung keine Spur. Ich bedanke mich bei ihr für ihren wichtigen Beitrag. Sie sagt 'Ja, ja'. Ihr Gesichtsausdruck scheint zu sagen: ich hab nur meine Pflicht getan. Ich meine, etwas Stolz wahrzunehmen.

Einige Stunden später such ich sie in ihrer Wohnung auf. Da ist sie schon wieder ganz die 'Alte'. Schwer vornübergebeugt, kann kaum laufen, der Gesichtsausdruck verrät mir Niedergeschlagenheit. Sie weiß nicht mehr, was vormittags war. Ich nehm ihre Hand und halte sie.

Eugen

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Beitrag vom Freitag, September 14, 2007 @ 13:00

Hallo lieber Eugen,
genau das was Du über Waltraut schreibst, habe ich bei meiner Mutti am Anfang Ihrer Krankheit auch bemerkt, immer wenn sie etwas machen und mithelfen konnte ging es Ihr besser! Aus diesem Grund habe ich mir auch immer etwas für sie überlegt, um Ihr das Gefühl zu geben, das sie wichtig ist, und mir sehr hilft! Ich habe auch immer festgestellt, das wenn ich sie gefragt habe, wie es ihr geht, sie mir kaum oder nur ganz wenig Antworten gegeben hat! Dann bin ich auf den Gedanken gekommen ihr einfach mal ein Blatt Papier und einen Stift zu geben, und ihr gesagt sie soll doch bitte mal wenn sie Lust hat einen Brief schreiben, was sie auch mit großer Freude machte! Sie hat dann zwar sehr viel durcheinander geschrieben, aber ich wusste dann immer wie es ihr geht, und was ihr zur Zeit gerade fehlt, und konnte so viel besser auf ihre derzeitigen Gefühle eingehen! Vielleicht kannst Du ja Waltraud mal fragen ob sie auch mal an jemanden einen Brief schreiben möchte! Mir haben die Briefe geholfen, meine Mutti besser zu verstehen!

Liebe Grüße Angela

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Beitrag vom Freitag, September 14, 2007 @ 13:05

Liebe Angela,
Waltraud sagt, sie sei fast blind. Augenärzte bestätigen eine 80%e Einbuße an Sehfähigkeit. In guten Momenten scheint dies aber für sie keine Behinderung zu sein.

Bis dann, Eugen

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Beitrag vom Freitag, September 14, 2007 @ 13:15

Lieber Eugen,
das war bei meiner Mutti nicht so, schade, denn das wäre sicher für Dich auch eine Möglichkeit gewesen mehr über Waltraud zu erfahren!

Liebe Grüße Angela

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Beitrag vom Freitag, September 14, 2007 @ 16:50

lieber Eugen, liebe Angela,
leider geht das mit dem Briefe schreiben bei meiner Mutter auch nicht, denn sie kann schon seit fast 1 Jahr nicht mehr lesen oder schreiben, weiß nicht warum das schon weggebrochen ist.
Ja auch ich kann bestätigen das meine Mutter aufblüht darf sie mithelfen, deshalb binde ich sie mit ein bei allem was ich tue, beim Waschewaschen sortiert sie mir dunkle und helle Sachen aus, beim putzen bekommt sie ein Staubtuch in die Hand und beim Mittagessen kochen wir zusammen, es geht zwar alles nur sehr langsam und auch nur wenn sie Lust hat , aber dafür hat sie dann Freude an den Tätigkeiten und ist emsig bei der Sache, natürlich erntet sie viel Lob dabei und strahlt.
Eure Petra

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Beitrag  something So Sep 23, 2007 3:34 pm

Liebe Angela,


Waltraud ist es nicht gewohnt zu schreiben. Zudem nicht über das, was irgendwie wesentlich ist. Erinnert ein wenig an Hilde, da hab ich ja auch einiges an Briefen gefunden. Aber nur herzliche Gratulation zum Geburtstag, frohes Fest usw. Daneben noch ein Bezug aufs Wetter. An der Art und Weise, wie sie schrieb, ist zu erkennen, dass Schriftsprache nicht gerade die Lebensäußerung der Wahl war für sie. Ich hab alleridngs noch nicht alles gesichtet.


Liebe Petra,


der Verlust an Schreib- und Lesefähigkeit ist sicher schlimm. Vielleicht sogar mehr noch für Dich als für Deine Mutter. Entspricht aber der Vorstellung über Alzheimer insofern, als dort das Kurzzeitgedächtnis als zuerst betroffen gesehen wird. Wenn ich nicht mehr weß. was ich vor einer Sekunde gedacht oder wahrgenommen habe, kann ich keinen Satz mehr schreiben noch lesen. Wie ist es mit der Erkennung von Bildern ?


Bis dann, Eugen

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Beitrag  petra Di Sep 25, 2007 6:57 pm

lieber Eugen, Bilder schaut sich meine Mama gerne an und läßt sich dazu auch gerne Geschichten erzählen, sie mag besonders Tierkarten und Babyfotos, ja ich denke auch das sie nicht mehr lesen oder schreiben kann, bekümmert sie nicht besonders, denn sie konnte es eh nur immer mühselig, sie ist in der DDR aufgewachsen in einem kleinen Dorf,auf einem großen Bauernhof, auf dem immer Hilfe benötigt wurde und der Vater sie und die 7 Schwestern auch nicht regelmäßig in die Schule geschickt hat, sondern sie zu Hause behalten hat, wenn zum Beispiel die Ernte anstand , außerdem war der Vater, ein ziemlicher Disput, nicht der Meinung das Mädchen überhaupt eine schulische Ausbildung brauchen, heiraten eh, war da sein Motto. Meine Mutter hat sich Zeit ihres Lebens für ihre mangelnde Ausbildung geschämt und ich hatte sie ermutigt mit mir zusammen einen Englisch Kurs zu belegen, als sie noch gesund war,sie war mit Feuereifer bei der Sache , das ist auch das was sie jetzt sagt, was ist mit mir passiert, früher konnte ich sogar Englisch und jetzt kann ich gar nichts mehr, das wurmt sie viel mehr, das sie kein Englisch mehr kann, als das nicht mehr lesen und schreiben kann.
liebe Grüße eure Petra
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Beitrag  something Mi Sep 26, 2007 10:35 pm

Waltraud wird weniger: Das Essen schmeckt ihr nicht. Wenn sie es anrührt, dann wenig. Oft bleibt es dann nicht lange drin, weil ihr schlecht wird. Oft vergisst sie einfach nur die lästige Pflicht. Der Pflegedienst sollte sie mittags zu einer warmen Mahlzeit anleiten und begleiten. Hat er dann aber eingestellt. Aus Zeit- und Geldgründen, aber auch, weil Waltraud sich 'überwacht' fühlte. Was ja auch irgendwie stimmt. Stattdessen wird einmal die Woche ein größerer Ausflug mit ihr unternommen. Was ihr sicher auch gut tut, denn sie kommt ja sonst kaum raus.


Hab heute Waltraud vorgelesen: 'Noch 61 kg. Im Juli waren es 66'. Sie schien unbeeindruckt. Hab sie gefragt, wie das wäre, wenn mittags jemand wg der Mahlzeit käme. 'Wäre egal', sagt sie.


Vielleicht zweimal die Woche lade ich mich bei Waltraud zum Essen ein. Aus 'therapeutischen' Gründen natürlich. Sie verköstigt gerne andere und mich im insbesonderen, da ich 'so dürr' bin. Mir schmeckt es aber nur dann, wenn auch Waltraud ins Frikadellchen beisst. Was sie dann 'mir zuliebe' auch macht. Wir sitzen dann zusammen an ihrem winzigen Küchentisch und ich versuche eine Unterhaltung. Was Waltraud nicht unbedingt sofort schätzt, zugeknöpft wie sie ist. Vielleicht nehm ich die Frikadelle als Ausgangspunkt: Wo sie gelernt habe, diese so lecker zuzubereiten? Die Mutter..., die Kindheit... . Ich finde es sehr gemütlich dort bei ihr in der Küche.


Eugen

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Beitrag  petra Do Sep 27, 2007 2:24 pm

lieber Eugen, das finde ich sehr schön das du dich 2 mal die Woche bei Waltraut zum Essen einlädst und sie so animierst selber auch zu essen, denn es ist ja auch nunmal so zu 2 schmeckt es eben besser und du kannst dir dann sicher sein das sie was isst und auch wenn nur aus dem Grund für Waltraut, das an dir dünnem Hansel was daran kommt, finde ich schön die Idee.
Meine Mutter hat Gott sei dank einen gesegneten Appetit , manchmal bin ich neidisch, sie isst Portionen vor der mancher Mann in die Knie gehen würde, und ich nehme schon vom zuschauen zu, während sie ihre schöne schlanke Figur behält, manchmal ist das Leben ungerecht, aber ich bin auch froh das sie so gut isst, ich denke da werden auch noch andere Zeiten kommen.
Sehr schön wie du dich um Waltraut kümmerst, denn mit Esszwang kommt man bei unseren Lieben nicht allzu weit, da werden sie höchstens bockig, ist eine grandiose Idee von dir, toll.
liebe Grüße Petra
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